„Sich in kritischen Situationen sicher fühlen“
In Schulen gehören Konflikte zum Alltag. Lehrkräfte sind gefordert, kritische Situationen entschärfen zu können. Die richtige Gesprächsführung spielt dafür eine große Rolle, ebenso ein sicheres Auftreten und das Aufzeigen von Grenzen. Eine klare Haltung und Leitlinien geben Sicherheit.
- Empathische Gesprächsführung ist wichtig
- Klare und selbstsichere Körpersprache unterstützt zusätzlich
- Konfliktkommunikation ist trainierbar
Ein Schüler legt im Unterricht provokativ die Füße auf den Tisch. Als der Junge ermahnt wird, springt er abrupt vom Stuhl auf und baut sich bedrohlich vor dem Pult auf. Wie kann die Lehrkraft die Situation unter Kontrolle bekommen? „In erster Linie geht es darum, selbstsicher aufzutreten“, erklärt der Gründer des Instituts für Gewaltprävention (diba) in Schleswig-Holstein, Dirk Baasch. „Das kann definitiv jeder lernen.“ In Fortbildungen trainiert er mit Lehrkräften, wie sie in brenzligen Situationen am besten Ruhe bewahren und den Konflikt entschärfen können. Dabei ist es im Grunde genommen egal, ob sie sich mit wütenden Schülern auseinandersetzen müssen oder es mit aufgebrachten Eltern zu tun haben. „Die Strategie ist immer gleich“, sagt der ehemalige Polizist. Vor allem kommt es seiner Meinung nach darauf an, welche Wirkung eine Lehrkraft hat. Sehr viel hänge vom eigenen Auftreten ab. Neben der Gesprächsführung spielten dafür auch Betonung und Körpersprache eine wichtige Rolle.
„Im Kern geht es darum, sich in kritischen Momenten sicher zu fühlen“, erklärt der Präventionsexperte. In der großen Mehrheit betreffe dies an Schulen emotionale Situationen, die entschärft werden müssten – zum Beispiel wenn eine Schülerin bewusst im Unterricht stört oder freche Antworten gibt. Im ersten Schritt sei eine empathische Gesprächsführung wichtig. „Als Lehrkraft den Finger zu erheben und mit ‚Lass das!‘ zu drohen, ist der falsche Weg“, betont Baasch. „Du-Botschaften wirken schnell konfrontativ. Viel wirksamer ist ein klarer Appell, der die eigene Person einbezieht.“ Zum Beispiel: „Lass uns bitte ruhig bleiben, das bringt doch so nichts.“ Mit solchen Worten beginne die Vermeidung der Gewaltspirale.
Eigene Rolle reflektieren
Nicht den Zeigefinger erheben, sondern gemeinsam nach Lösungen suchen: Der systemische Berater und Coach Daniel Fauth, der unter anderem für das Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung (ILF) in Mainz tätig ist, trainiert in seinen Fortbildungen vor allem die Grundlagen der kooperativen Gesprächsführung. Dafür rät er, zunächst die eigene Rolle zu reflektieren. Lehrkräften müsse der Spagat gelingen, einerseits Lernstoff zu vermitteln und Kinder zu bewerten, andererseits aber auch in Beziehung zu ihnen zu treten und zu fragen: Was läuft schief? Wie kann ich dich unterstützen? „Diese unterschiedlichen Rollen mitei-nander zu vermengen, birgt immer Konfliktpotenzial“, meint der Trainer. Besser sei es, die Schülerin oder den Schüler extra zu einem persönlichen Gespräch einzuladen – und klarzumachen, dass man dabei in einer anderen Funktion auftrete.
Sich selbst beobachten
Zudem ist es seiner Auffassung nach wichtig, sich als Lehrkraft die eigenen Emotionen vor Augen zu führen. Zum Beispiel wenn man sich nicht ernst genommen fühlt. Um im Gespräch sachlich zu bleiben und Ruhe bewahren zu können, empfiehlt er, vorher zwei Wochen lang einen Beobachtungsbogen auszufüllen: Wie verhält sich die Schülerin oder der Schüler? Wie sieht meine Reaktion aus? Wie fühle ich mich dabei? „So hat man nicht nur eine Momentaufnahme, sondern geht gut vorbereitet ins Gespräch.“ Vor allem komme es darauf an, als Lehrkraft nicht von oben herab aufzutreten, sondern zu verdeutlichen: Ich möchte gern verstehen, was mit dir los ist! Der Trainer rät, Fragen zu stellen: Was möchtest du verändern? Wie kannst du das schaffen? Wie sehen erste Schritte aus? Ziel soll sein, mit der Schülerin oder dem Schüler eine Absprache zu treffen, damit sie oder er eine Verhaltensänderung vollzieht. Im Kooperationsgespräch sollten Lehrkräfte ihre Unterstützung anbieten, erklärt Fauth. Also nicht einfach nur die Regel vorgeben: In der Klasse wird nicht gegessen! Sondern auch fragen: Wie kannst du es schaffen, 45 Minuten lang nicht zu essen? Zugleich müssten Regelüberschreitungen konsequent sanktioniert werden, betont der Trainer. „Es braucht klare Regeln.“
Regeln gelten für alle Konfliktgespräche
Diese Tipps gelten auch für Gespräche mit Eltern. „Wenn sie nur zu hören bekommen, was ihr Kind alles falsch macht, blocken sie in der Regel ab. Die Gefahr ist dann groß, dass sie sich nur verteidigen und zum Gegenangriff übergehen.“ Stattdessen sollten Lehrkräfte erst einmal zuhören und als Botschaft vermitteln: Wie kann ich Sie unterstützen? Hilfreich seien auch Fragen nach dem Motto: Wie verhält sich Ihr Sohn oder Ihre Tochter bei Ihnen zu Hause? Wie schaffen Sie es, Ihrem Kind Grenzen zu setzen? Beschweren sich Eltern lautstark darüber, dass ihr Kind ungerecht behandelt wird, gelte es, die Emotionen der anderen Seite anzuerkennen und die eigene Sicht der Dinge zu schildern. „Wie bei jeder Form von Beschwerdemanagement geht es darum, die Beschwerden ernst zu nehmen“, betont Fauth. Hilfreich ist, wenn die Schule über ein Präventionskonzept verfügt beziehungsweise verbindliche Handlungsleitlinien für Konfliktsituationen festgelegt hat.
Für gute Atmosphäre sorgen
Für eine kooperative Gesprächsatmosphäre sei auch das Setting wichtig, erklärt der Trainer. Zur Begrüßung sollte die Lehrkraft den Eltern die Hand geben und ein paar freundliche Worte wechseln: „Schön, dass Sie da sind!“ – „Haben Sie den Weg gut gefunden?“ Als ungünstig bezeichnet er, sich an zwei Tischen gegenüberzusitzen. „Besser ist es, nebeneinander um einen kleinen Tisch herum Platz zu nehmen. Damit man sich nicht konfrontativ in die Augen schaut.“ Sollte das Gespräch trotzdem eskalieren, biete sich eine kurze Pause an. Zudem könne es hilfreich sein, eine unbefangene Person hinzuzuziehen – etwa von der Elternvertretung, der Schulsozialarbeit oder aus der Schulleitung.
Null-Toleranz-Grenzen einhalten
Doch zurück ins Klassenzimmer: Was können Lehrkräfte tun, wenn die Provokationen trotz empathischer Gesprächsangebote im Klassenzimmer anhalten? Wichtig ist, dass alle in der Schule wissen, wo eine Grenze überschritten ist. Eine gemeinsame Handlungsrichtlinie sorgt für Sicherheit. Dabei ist die Rückendeckung durch die Schulleitung unverzichtbar. In den Workshops beim diba-Institut für Gewaltprävention geht es nun ganz klar um eine weitere Stufe im Konfliktmanagement. Ob eine Schülerin oder ein Schüler die Füße auf den Tisch legt, die Lehrkraft beleidigt oder bedroht: „Das sind Null-Toleranz-Situationen“, stellt Trainer Dirk Baasch klar. „In so einem Moment läuft ganz klar eine Konfrontation.“ Zu ihrem eigenen Schutz müsse die Lehrkraft eingreifen, sonst leide ihre Akzeptanz in der Klasse. „Da müssen Grenzen gesetzt werden.“ Freundlich, aber bestimmt gelte es, Konsequenzen anzukündigen – und durchzusetzen. „Das wird vielfach nicht gemacht“, sagt der Coach und nennt zwei Voraussetzungen dafür, dass das gelingt: „Die Lehrkräfte müssen gut vorbereitet sein und einen Standpunkt haben.“ Dafür müssten sie signalisieren, dass sie in der Lage seien, sich notfalls zur Wehr zu setzen. Ziel sei, in der Konfliktsituation zu deeskalieren, damit es nicht zu Handgreiflichkeiten kommt.
Körpersprache ist wichtig
Dafür sei die Körpersprache enorm wichtig, berichtet der ehemalige Polizist. Klare Gesten hätten große Signalwirkung. Wer ängstlich und hilflos wirke oder wütend würde, habe geringe Chancen, sich durchzusetzen. „Es geht darum, einen sicheren Habitus zu verkörpern“, betont Baasch. Dazu gehört zum Beispiel, mit den Beinen etwas versetzt zu stehen, um mehr Standfestigkeit zu haben. Und ganz wichtig: Blickkontakt halten. Auch mit der Hand kann die Lehrkraft deutlich signalisieren: Stopp! In Rollenspielen trainieren die Lehrkräfte in seinen Kursen, wie sie einen Angriff abwehren. „Das ist für viele ein Aha-Erlebnis“, erklärt Baasch. In nachgestellten Szenen erlebten Lehrerinnen und Lehrer, dass sie sich im Notfall wehren können. „Das ist ein wundervolles Gefühl“, so der Trainer. „Dieses Wissen macht etwas mit ihrem Erscheinungsbild.“ Die Lehrkräfte würden danach viel selbstsicherer vor die Klasse treten.
Die Strategie sei auf alle Situationen übertragbar, sagt Baasch. Egal, ob sich jemand von Schülerinnen oder Schülern bedroht fühlt, von Eltern oder abends in der Bahn. In den Fortbildungen lernen die Lehrkräfte auch, wie sie in Notsituationen eingreifen, etwa bei einer Schlägerei – ohne sich in Gefahr zu bringen. „Auch dafür ist ausschlaggebend, wie sicher ich auftrete“, erklärt der Präventionsexperte. Ziel sei, die Aggressoren – im Idealfall zusammen mit anderen Lehrkräften – abzulenken, zum Beispiel durch akustische Signale wie Rufen oder Klatschen. Doch der Trainer gibt zu bedenken, dass die Wirkung bei Weitem nicht nur von den Worten abhänge, sondern vor allem von der Betonung und Körpersprache. „So etwas kann man trainieren“, betont Baasch. „Generell gilt: Die eigene Wirkung zu erleben, sorgt für Empowerment.“
MEHR INFOS
Unterrichtseinheiten zum Thema Gewaltprävention finden Sie auf dem Schulportal „Lernen und Gesundheit“ der DGUV, beispielsweise diese:
Konfliktbewältigung trainieren (Primarstufe)
Grundschulkinder lernen hierbei mutige, angemessene Reaktionen auf Belästigungen, Schubsen, Festhalten oder Beleidigen in der Schule, aber auch auf dem Spiel- oder Sportplatz.
www.dguv-lug.de; Webcode: lug1001795
Gewaltprävention: Gewalt von innen (BBS)
Junge Leute werden überdurchschnittlich häufig Opfer von Missachtung, Belästigung, Unterdrückung und anderen Formen von Gewalt am Arbeitsplatz. Was können sie bei solchen Erfahrungen tun?
ww.dguv-lug.de; Webcode: lug890513
Dirk Baasch ist Trainer und Coach beim diba-Institut für Gewaltprävention, das der ehemalige Polizist selbst gegründet hat.
Mehr Infos unter:
www.diba-institut.de
Daniel Fauth ist als systemischer Berater und Coach unter anderem für das Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung (ILF) in Mainz tätig.
Mehr Infos unter:
www.zentriert-sein.de