Junge steht vor einer Tafel mit aufgemaltem Bizeps.
Selbstwirksamkeitserfahrungen sind für junge Menschen besonders wichtig.

„Partizipation ist eine zentrale Quelle“

Kann Selbstwirksamkeit im Schulkontext gefördert werden? Und welche Vorteile bringt dies mit sich? Über Tipps zum mitbestimmenden Lehren und Lernen spricht Katrin Velten, Professorin für Bildung in der Kindheit an der Alice Salomon Hochschule Berlin.

  • Selbstwirksamkeitserfahrungen sind sehr wertvoll für Heranwachsende
  • Schülerinnen und Schüler brauchen Möglichkeiten zur Mitgestaltung
  • Die Haltung von Schulleitung und Lehrkräften ist entscheidend
AUTORIN Mirjam Ulrich, Freie Journalistin| FOTOS luismolinero, moderngolf1984 – stock.adobe.com, privat| DATUM 05.11.2024

Frau Professorin Velten, wenn von Selbstwirksamkeit die Rede ist, was ist damit gemeint?
Selbstwirksamkeit lässt sich definieren als Glaube an die eigenen Handlungsfähigkeiten, ein bestimmtes Vorgehen erfolgreich durchführen zu können. Es kommt nicht nur auf personale Eigenschaften an, sondern auch darauf, wie die Person die Möglichkeiten einschätzt. Ein Beispiel: Für die Lösung von komplexen Rechenaufgaben sind nicht ausschließlich meine tatsächlichen mathematischen Kompetenzen relevant, sondern vielmehr die Überzeugung, dass ich die notwendigen Fähigkeiten habe, sie auch zu lösen.

Demnach schränken Glaubenssätze wie „Ich bin eh zu blöd für Mathe“ die eigene Selbstwirksamkeit von vornherein ein.
Genau. Die Forschung zeigt, dass Menschen, die sich als selbstwirksam erleben, vor einer persönlich wichtigen Herausforderung ihre Fähigkeiten auf der Grundlage ihrer früheren Erfahrungen eher positiv einschätzen. Sie trauen sich selbst und ihrer Wirkungskraft mehr zu. Deshalb ist es so wichtig, viele unterschiedliche Selbstwirksamkeitserfahrungen zu machen. Selbstwirksame Menschen schreiben zudem im Nachhinein den Erfolg sich selbst und ihren Anstrengungen zu. Sie bleiben auch am Ball, wenn es mal nicht so einfach ist.

Wie kann Selbstwirksamkeit in der Schule gefördert werden?
Leider erleben sich immer noch viele Kinder und Jugendliche als wenig mitbestimmend. Das zeigen quantitative Befragungen wie etwa die World Vision Studie seit Jahren. Partizipation ist aber eine zentrale Quelle von Selbstwirksamkeit. Wie stark Partizipation gelebt wird, hängt sehr stark von der Haltung der Lehrkräfte und der Schulleitung ab. Sie müssen dazu bereit sein, die Schülerinnen und Schüler mitwirken zu lassen – und zwar nicht nur in formalen Strukturen wie Klassenrat oder Schulparlament. Kinder und Jugendliche wollen auch mitentscheiden, wenn es zum Beispiel um Lehr- und Lerninhalte geht oder die Gestaltung von Unterrichtssituationen oder des Schullebens. Damit meine ich nicht, dass sie grundlegende Lerninhalte „abwählen“, im Sinne von „Einmaleins wollen wir nicht lernen“. Aber wann und wie und mit welchen Inhalten und Methoden etwas behandelt wird, das können und sollten Schülerinnen und Schüler mitgestalten dürfen.

Und wie können Lehrkräfte Schülerinnen und Schüler dabei unterstützen, Selbstwirksamkeit zu entwickeln?
Ich appelliere daran, an der eigenen Einstellung zu arbeiten: Wie möchte ich gerne mit jungen Menschen umgehen? Wie verstehe ich meine Rolle als Lehrperson, welche Rahmenbedingungen sind für mich oder  aufgrund der Vorgaben unumstößlich? Inwieweit habe ich Spielraum? Jedes Bundesland hat Richtlinien und Lehrpläne für die einzelnen Fachbereiche. Sie geben ein paar Zaunpflöcke und Leitplanken vor, aber die Wiese innerhalb dieser Begrenzungen ist ja relativ frei gestaltbar. Mal mehr und mal weniger.

Wie kann die Schulleitung Lehrkräfte dabei unterstützen?
Das fängt bei den Strukturen an – es müsste aus meiner Sicht ermöglicht werden, Unterrichtskonzeptionen anders zu denken als in den eher traditionellen oder klassischen Strukturen. Es könnte damit beginnen, den Pausengong abzustellen, möglicherweise auch grundsätzlich Unterrichtsstunden abzuschaffen und eher in Lernphasen zu denken. Und damit, in den Stundenplänen der Lehrkräfte Stunden oder Zeiten zu reservieren und zu blocken – und zwar in dem Stundenkontingent und nicht on top – um den Unterricht in der alltäglichen Schulwoche gemeinsam zu planen und Ideen dafür zu entwickeln.

 

Bücher zum Thema

Brinkmann, Vera: Fragen stellen an die Welt: Eine Untersuchung zur Kompetenzentwicklung in einem an den Schülerfragen orientierten Sachunterricht. Verlag Schneider bei wbv, Bielefeld, 2019.

Susanne Miller und Katrin Velten: Kinderstärkende Pädagogik in der Grundschule. Erschienen in der Reihe: KinderStärken, Band 6, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, 2015.

Velten, Katrin: HandlungsSpielRäume. Selbstwirksamkeit von Kindern im Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule. Klinkhardt, Bad Heilbrunn, 2020.

Prof. Dr. Katrin Velten

Prof. Dr. Katrin Velten hat als Grundschullehrerin und in der Lehrkräfteausbildung gearbeitet. An der Alice Salomon Hochschule Berlin betreibt sie Grundlagenforschung zur Selbstwirksamkeit bei Kindern. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen auch didaktisch-methodische und ethische Grundlagen der Partizipation von Schülerinnen und Schülern, stärkenorientierte Pädagogik und Demokratiepädagogik.

ONLINE-ANGEBOTE

Kostenfreies Unterrichtsmaterial, Arbeitsblätter und Übungen zur Selbstwirksamkeit gibt es bei Elixier, der Suchmaschine für Bildungsmedien des Leibniz- Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF), zum Download.