Mehr Prävention nötig?
Das neue Cannabisgesetz ist zum 1. April 2024 in Kraft getreten. Stellt sich für Schulen die Frage: Was bedeuten die neuen Rahmenbedingungen konkret für uns und für den Stellenwert von schulischen Suchtpräventionsprogrammen?
- Das neue Gesetz entkriminalisiert und verharmlost den Cannabiskonsum
- Starke und selbstbewusste Jugendliche konsumieren weniger Drogen
- Frühe Aufklärung in der Schule und allumfassende Präventionskonzepte wichtig
Für die Schulen ändert sich durch das neue Gesetz in der Praxis eigentlich nichts“, erklärt die Studiendirektorin der Berufsbildenden Schule im rheinland-pfälzischen Alzey, Ulla Hagemeister. „Unsere Schule war und ist – wie wohl die meisten anderen Schulen in Deutschland auch – eine suchtmittelfreie Schule. Wir akzeptieren keinerlei Drogen hier und wer sich nicht daran hält, wird umgehend nach Hause geschickt. Den Sachverhalt arbeiten wir dann nach unseren Richtlinien auf.“ Das schließe natürlich nicht aus, dass Schülerinnen und Schüler trotzdem „bekifft“ in die Schule kämen oder gegebenenfalls in der Pause das Schulgelände verließen, um einen Joint zu rauchen. „Das gab es gelegentlich schon vor dem neuen Gesetz und wird es leider auch weiterhin geben“, sagt Hagemeister.
Also einfach weitermachen wie bisher? Auf keinen Fall, ist sich die Studiendirektorin sicher – dieser Meinung sind auch die meisten Expertinnen und Experten in der Suchtprävention. Zumal 14- bis 18-Jährige nach dem neuen Gesetz straffrei ausgehen, wenn sie mit den dort festgelegten Cannabismengen erwischt werden. „Durch das neue Gesetz wird der Cannabiskonsum entkriminalisiert, verharmlost und damit salonfähiger“, befürchtet Ulla Hagemeister. „Dagegen hilft nur mehr Aufklärung und Prävention – und das so früh wie möglich.“
WENN EIN PSYCHIATER IN DIE SCHULE KOMMT
Einer, der genau das macht, ist Dr. med. Christoph Gerth, Psychiater und Chefarzt der Allgemeinpsychiatrie in der Rheinhessen-Fachklinik Alzey. Er geht seit 16 Jahren in Schulen und sensibilisiert Jugendliche und oft auch deren Eltern für die gesundheitlichen Folgen von frühem Cannabiskonsum. „Das jugendliche Gehirn reagiert bis zum Alter von 25 Jahren sehr empfindlich auf Cannabis, aber auch auf andere Drogen wie Alkohol und Nikotin“, erklärt Christoph Gerth. „Die Folgen können sehr drastisch sein. Viele der jungen Leute sind mehr als überrascht, wenn ich ihnen das mit Hirnscans von gesunden und im Vergleich dazu von bereits geschädigten Gehirnen vor Augen führe.“ Frühe Aufklärung – der Psychiater empfiehlt diese in der Regel ab der neunten Klasse – auf der Basis von wissenschaftlich fundiertem Wissen und ohne erhobenen Zeigefinger liegt ihm sehr am Herzen.
Er selbst hält nichts von der Legalisierung von Cannabis. „In meiner Klinik sehe ich täglich die fatalen Auswirkungen von zu frühem und zu intensivem Drogenkonsum auf das spätere Leben.“ Das neue Gesetz setze das völlig falsche Signal, nämlich, dass Kiffen nicht gefährlich sei.
OFFENERER ZUGANG ZU DEN JUNGEN LEUTEN
Fachberatungsstellen wie die Ambulante Suchthilfe des Diakonischen Werks Hanau-Main-Kinzig, die auch Aufklärungs- und Präventionsarbeit in den Schulen durchführen, eröffnet das neue Gesetz einen anderen, offeneren Zugang zu Schülerinnen und Schülern: „Wir kommen mit den jungen Leuten aufgrund der Entkriminalisierung besser und ehrlicher ins Gespräch und können nun mehr präventiv und vor allem interventiv erreichen als vorher“, erklärt Diplom-Sozialpädagogin Katja Bräutigam.
STARKE PERSÖNLICHKEITEN SIND WENIGER GEFÄHRDET
Eine Aufklärungsarbeit wie die von Dr. Gerth ist für den Präventionsberater des Gemeinde-Unfallversicherungsverbands Hannover (GUVH), Mario Jansen, nur ein Baustein in der nun umso wichtigeren und übergeordneten Präventionsarbeit. „Reine Aufklärung ist noch keine Prävention. Der beste Schutz vor Drogenmissbrauch liegt darin, dass wir unsere Kinder und Jugendlichen zu starken, selbstwirksamen und selbstbewussten Persönlichkeiten erziehen. Und das sollte idealerweise schon im Elternhaus und in der Kita beginnen.“
Er empfiehlt Schulen, einerseits die sachliche und informative Diskussion über Cannabis zu fördern – „interessant ist ja auch, die Frage zu klären, was die Beweggründe der jungen Leute für den Konsum sind“ –, andererseits aber auch die allgemeine Präventionsarbeit zu fördern und an der Schule zu implementieren. „Dabei sollte der Fokus auf evaluierte Programme zur Stärkung von Lebenskompetenzen gelegt werden, wie sie beispielsweise in der Grünen Liste zu finden sind. Ein ganzheitlicher Ansatz ist dabei wichtiger als die reine Fokussierung auf Cannabis“, ist sich der Präventionsexperte sicher.
KLARE REGELUNGEN, KLARER STANDPUNKT
Auch nach dem neuen Gesetz ist für Schulen der Cannabiskonsum klar geregelt. Er ist in Sichtweite und in einem Abstand bis zu 100 Meter zum Schulgelände strikt verboten. Dies gilt auch für Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie für Kinderspielplätze. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) tritt dafür ein, Alkohol und Cannabis am Arbeitsplatz und in Bildungseinrichtungen gleichzubehandeln.
Das heißt: In beiden Fällen muss ein Konsum, der zu Gefährdungen an Arbeitsplätzen und in Bildungseinrichtungen führen kann, ausgeschlossen sein. Das fordert die DGUV in dem Positionspapier „NULL Alkohol und NULL Cannabis bei Arbeit und Bildung“. Die Debatte über die „Freigabe“ von Cannabis darf nicht dazu führen, dass seine Wirkung verharmlost wird. Die Entkriminalisierung von Cannabis ist daher mit öffentlichkeitswirksamen Informationskampagnen zu verbinden, die über die Wirkung von Cannabis aufklären und insbesondere klar auf die damit verbundenen Risiken für Sicherheit und Gesundheit hinweisen.
Mehr Infos unter: www.dguv.de/cannabis
Eine hilfreiche Linkliste zu weiterführendem Infomaterial, speziell für Lehrkräfte, finden Sie hier: