Einen Raum für Gespräche schaffen.

Auf die Haltung kommt es an

Die Gewalt in Nahost stellt Schulen vor Herausforderungen: Viele Schülerinnen und Schüler bringen ihre Sorgen, ihre Ängste und ihre Wut mit in die Klassenzimmer. Für Lehrkräfte stellt sich die Frage: Wie kann ich Konflikte entschärfen? Und wie einen respektvollen Umgang miteinander fördern?

  • Politische und religiöse Konflikte beeinflussen das Klima in Schulen
  • Schülerinnen und Schüler brauchen Raum, um über ihre Sorgen zu sprechen
  • Lehrkräfte müssen konsequent gegen Diskriminierung jeder Art vorgehen
AUTORIN Kathrin Hedtke, freie Journalistin | FOTOS/ILLUSTRATIONEN Adobe Stock (AspctStyle, vejaa), privat, Fotostudio Blende Auf, mann + maus | DATUM 06.02.2024

Der Nahostkonflikt wühlt viele Jugendliche sehr auf. Schulen sind gefordert, sich damit auseinanderzusetzen. „Wichtig ist, dass sie einen Raum für Gespräche schaffen“, sagt die Antigewalt- und Kompetenztrainerin Daniela Telleis von der Berliner Fachstelle „proRespekt – gewaltfreie Schulen demokratisch gestalten“. Die Schülerinnen und Schüler müssten darüber sprechen können, was sie beschäftigt und bedrückt. Dafür seien aufseiten der Lehrkräfte keine Detailkenntnisse über den Konflikt erforderlich. „Auf die Haltung kommt es an“, betont die Sozialpädagogin. Lehrkräftemüssten klipp und klar eine Grenze setzen, wenn diskriminierende Äußerungen fallen und Menschen beleidigt oder ausgegrenzt werden.

Daniela Telleis von der Berliner Fachstelle „proRespekt – gewaltfreie Schulen demokratisch gestalten“

KEINE DISKRIMINIERUNG DULDEN

Dieser Punkt ist auch für Elisabeth Adler vom Netzwerk für Demokratie und Courage in Sachsen zentral. Werde in der Klasse jemand wegen seiner Herkunft oder Religion angegriffen, müssten Lehrkräfte deutlich machen: Stopp! „Da braucht es Konsequenzen“, fordert die Bildungsreferentin. Dazu gehört zum Beispiel, den übergriffigen Schüler oder die Schülerin zur Rede zu stellen und die Eltern zum Gespräch zu bitten.

Elisabeth Adler rät, schon bei „blöden Sprüchen“ oder Schimpfwörtern genau hinzuhören. Oft würden solche Kommentare von Jugendlichen leichtfertig dahingesagt, mitunter nicht in böser Absicht. „Wichtig ist, dass Lehrkräfte reagieren“, stellt die Präventionsexpertin klar. „Wie genau, ist dabei erst einmal, Nebensache.“ Je nach Persönlichkeit und Situation werden die Reaktionen unterschiedlich ausfallen – zum Beispiel mal mehr, mal weniger streng. „Es kommt darauf an, eine diskriminierende Äußerung nicht stehen zu lassen“, so Elisabeth Adler.

An Schulen herrsche häufig das Missverständnis, Lehrkräfte müssten politisch neutral auftreten, doch das stimme so nicht. Im Gegenteil. Lehrkräfte seien dazu verpflichtet, die Kinder- und Menschenrechte zu verteidigen. Wenn eine Person beleidigt wird, müssten sie eingreifen. „Da braucht es Parteilichkeit“, sagt Elisabeth Adler, „und zwar für die Betroffenen.“ Dabei gehe es nicht darum, in dem konkreten Konflikt eine Position zu beziehen, sondern zu schauen: „Wer leidet gerade? Wer wird benachteiligt?“ Dieser Person gelte es, Mitgefühl auszudrücken und sie zu stärken.

Elisabeth Adler ist Bildungsreferentin
beim Netzwerk für Demokratie und
Courage in Sachsen.

 

STELLUNG BEZIEHEN GEGEN PAUSCHALISIERUNGEN

Elisabeth Adler rät Lehrkräften, erst einmal kurz innezuhalten und sich zu fragen: „Wo stehe ich?“ Schließlich reagierten sie nicht im luftleeren Raum, sondern hätten selbst zu dem Konflikt eine Einstellung und Gefühle. Gleichzeitig hebt sie hervor, dass die Lehrkräfte nicht gefordert sind, einen bestimmten politischen Konflikt zu jeder Zeit in der Tiefe zu bearbeiten. Vielmehr gelte es klarzumachen, wo verallgemeinernd „wir“ und „die anderen“ als Gegensatz gegenübergestellt würden. Und Pauschalisierungen entgegenzuwirken: „Nicht alle Gläubigen einer Religionsgemeinschaft sind gleich – genauso wenig wie alle Mädchen oder Jungen gleich sind oder alle Jugendlichen.“

Daniela Telleis von proRespekt weist darauf hin, dass man sich in inhaltlichen Debatten schnell verstricken kann. Die Sozialpädagogin stellt an Schulen oft große Verunsicherung fest. Viele Lehrkräfte fühlten sich für Diskussionen nicht gewappnet, weil sie nicht genug über die Hintergründe des Nahostkonflikts wüssten. „Müssen sie auch gar nicht“, betont die Antigewalttrainerin. Viele Jugendliche tauchten sehr tief in das Thema ein, daher sollten sich Lehrkräfte besser nicht auf einen Schlagabtausch einlassen. „Die Gefahr ist groß, dass sich durch eine solche Diskussion die Fronten verhärten und sogar ein Gesprächsabbruch droht.“

EMOTIONEN UND ÄNGSTE IM FOKUS

Hier braucht es ein Umdenken: Lehrkräfte sind es gewohnt, Wissen zu vermitteln und Fakten zu erklären. Aber in diesem Fall sollten sie lieber den Fokus auf die persönlichen Emotionen der Schülerinnen und Schüler legen: „Wie fühlst du dich? Was macht der Konflikt mit dir? Wovor hast du Angst?“ Viele der jungen Menschen fühlten sich aufgrund ihrer Familiengeschichte emotional eng mit dem Nahostkonflikt verbunden, vielleicht sind die Großeltern früher selbst geflüchtet. Im Idealfall stellten beide Seiten fest, dass es ihnen ganz ähnlich
gehe. „Alle leiden darunter“, so Daniela Telleis, „alle haben Angst.“

Bei Strafen stellt sich ihrer Meinung nach die Frage nach der Wirkung. „Natürlich gehören Sanktionen im Zweifel dazu“, stellt sie klar. Aber Jugendliche im Rahmen einer Ordnungsmaßnahme lediglich ein paar Tage vom Unterricht zu suspendieren, ändere nichts an ihrer Einstellung. Im Gegenteil: „Die Gefahr ist groß, dass sie dahin gehen, wo sie sich verstanden fühlen“, gibt Daniela Telleis zu bedenken. „So wird auch der Radikalisierung Tür und Tor geöffnet. Das kann nicht die Lösung sein!“ Für sinnvoller hält sie es, dass die Jugendlichen sich mit ihren Positionen auseinandersetzen. „Außerdem sollten wir Pädagoginnen und Pädagogen auch als Reibefläche dienen, um so die Meinungsbildung zu beeinflussen.“ Dabei hilft auch, wenn Schülerinnen oder Schüler beispielsweise ein Referat zum Thema vortragen. „Das eröffnet die Möglichkeit, dass ihre Ansichten hinterfragt werden können.“

DIALOG STEHT ÜBER ALLEM

Ob in Ethik, Geschichte, Deutsch oder Kunst: Der Dialog könne in fast allen Fächern gefördert werden, meint Antigewalttrainerin Daniela Telleis. Eine weitere Idee ist, in der Schule ein Sprechcafé oder einen Dialograum einzurichten. „Ein solches Format bietet die Möglichkeit, noch einmal ganz anders ins Gespräch zu kommen als im Unterricht.“ Sie empfiehlt, die Schulsozialarbeit mit ins Boot zu holen. Diese könne eine andere Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern aufbauen. Zudem könnten Beratungsstellen oder Initiativen von außen einen wertvollen Beitrag leisten. Externe Akteurinnen und Akteure, zum Beispiel Streetworker, verfügten über mehr Knowhow und könnten andere Blickwinkel vermitteln. „Sie können besser einordnen, was hinter einer bestimmten Aussage steckt, und die Jugendlichen anders erreichen.“ In Berlin gibt es zum Beispiel ein Projekt, bei dem eine Palästinenserin und ein Jude mit israelischen Wurzeln gemeinsam Schulen besuchen. Übrigens, fügt Telleis hinzu, profitierten davon auch die Schülerinnen und Schüler, die sonst keinen großen Bezug zu politischen Themen hätten.

MIT KONZEPT UND TEAMARBEIT

Elisabeth Adler rät Schulen, ein Antidiskriminierungskonzept zu erarbeiten. Im Leitbild werden Werte festgeschrieben, wie in der Schule miteinander umgegangen wird. „Das Kollegium durchdenkt gemeinsam, welche Fälle auftreten können – und wie sie darauf reagieren möchten“, sagt die Bildungsreferentin. „Wichtig ist vor allem, sensibel zu sein.“ Ein Fahrplan legt Schritte fest, wie mit diskriminierenden Äußerungen und Taten umzugehen ist und wie Betroffene unterstützt werden können. Im konkreten Fall bewährt sich Teamarbeit. Zusammen könnten die Lehrkräfte besser einordnen: Wie ist der Vorfall zu bewerten? Und was folgt daraus? „In Schulen kommen Kinder zusammen, die mit ganz unterschiedlichen Rucksäcken bepackt sind“, gibt Elisabeth Adler zu bedenken. „Und Lehrkräfte genauso. Umso mehr kommt es auf ein respektvolles Miteinander an.“

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Unterrichtseinheit „Streitschlichtung in Schulen“
www.dguv-lug.de, Webcode: lug1002002

Unterrichtseinheit „Gewalt in der Schule“
www.dguv-lug.de, Webcode: lug905127