Allez hopp!
Nach der Begrüßung ein paar Minuten stehen bleiben, in Mathe eine Rechenaufgabe hüpfen oder in Deutsch auf dem Boden einen Text lesen: Mehr Bewegung in den Unterricht zu integrieren, ist nicht schwer, fördert die Gesundheit, verbessert das Klassenklima – und kann beim Lernen helfen.
- Bewegung stärkt Selbstbewusstsein, Sprachentwicklung und Motorik
- Zu langes Sitzen in der Schule lässt sich auf kreative Weise reduzieren
- Unfallkassen bieten Schulen Impulse zur Bewegungsförderung
Mit Kreide lassen sich fix ein paar Kästchen auf den Schulhof malen, damit die Kinder in der Pause hüpfen können. Auch im Unterricht braucht es nicht viel: Wem die Kurzgeschichte von Franz Kafka gefällt, stellt sich auf die linke Seite des Klassenzimmers und begründet seine Meinung – alle anderen gehen nach rechts. Wer eine Vier würfelt, muss im Spinnengang krabbeln, bei einer Sechs heißt es: fünf Hampelmänner machen. „Es gibt unendlich viele Ideen, um Bewegung in die Schule zu bringen“, betont der Sportlehrer Christian Roth von der Georg-Büchner-Schule in Erlensee bei Hanau, der als Fachberater am Staatlichen Schulamt für den Main-Kinzig-Kreis regelmäßig Schulen zu dem Thema berät. Studien zeigen, dass Bewegung nicht nur für die Gesundheit von Kindern und Jugendliche extrem wichtig ist und Übergewicht entgegenwirkt, sondern auch, dass kleine Fitnessübungen zwischendurch beim Lernen helfen und zu einem guten Klassenklima beitragen.
SITZZEITEN IM UNTERRICHT REDUZIEREN
„Bewegung ist Gold wert für Körper und Psyche“, betont der Sportexperte Julian Mädrich von der Unfallkasse Rheinland- Pfalz (UK RLP). Deshalb sollten Schulen nach Kräften dazu beitragen, den hohen Sitzzeiten im Schulalltag entgegenzuwirken. Die Nationale Empfehlung für Bewegung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gibt vor, dass sich Schulkinder mindestens 90 Minuten pro Tag bewegen sollten – je mehr, desto besser. Bewegung beeinflusst viele Bereiche positiv: Das Selbstbewusstsein wird gestärkt, die Sprachentwicklung gefördert und die Motorik sicherer. Wer sich viel bewegt, stolpert und stürzt weniger – so lässt sich auch die Zahl der Schulunfälle reduzieren.
Zudem gilt: Bewegung macht schlau. Studien belegen den positiven Einfluss auf die kognitive, soziale und emotionale Entwicklung. Davon profitierten nicht nur die Kinder, sondern auch die Lehrkräfte, betont der Sportexperte. Wenn es unruhig und laut in der Klasse ist, fehlt den Schülerinnen und Schülern oft Bewegung – und die lässt sich spielerisch einbauen. Zum Beispiel in Deutsch ein Laufdiktat: Dafür verteilt die Lehrkraft einzelne Sätze im Klassenzimmer – am Schrank, an der Wand, an der Tafel, am Fenster – und die Kinder laufen von ihrem Platz hin und her. Oder in Physik: Die Jugendlichen werfen verschiedene Gegenstände in einen Reifen und gucken: Was fliegt präziser, ohne viele Kurven – ein Bierdeckel oder ein kleines Sandsäckchen? Und warum ist das so? So lernen sie die Eigenschaften von Materialien anhand der Flugrouten kennen. „Bewegung macht Spaß und sorgt dafür, dass die Klasse viel ausgeglichener ist“, sagt Julian Mädrich.
„In der Grundschule hat meine Klassenlehrerin kleine Spiele in den Unterricht eingebaut. Bei einem Verb mussten wir unter den Tisch krabbeln. Das fand ich immer lustig und die Stimmung in der Klasse war super. Jetzt auf dem Gymnasium gibt es so etwas leider nicht mehr.“ – Carla, 12 Jahre
STUNDENBEGINN IM STEHEN
Diese Einschätzung teilt auch Christian Roth, der an einer Integrierten Gesamtschule unterrichtet: „Wir können von Schülerinnen und Schülern nicht erwarten, 90 Minuten still zu sitzen und sich perfekt zu konzentrieren.“ Sein Tipp: direkt mit einem bewegten Stundenbeginn zu starten. „Es ist top, wenn so etwas ritualisiert wird.“ Der Lehrer lässt seine Klasse zur Begrüßung aufstehen und unterrichtet die ersten drei, vier Minuten im Stehen. Auch danach sorgt er für Bewegung im Klassenzimmer: Wenn die Schülerinnen und Schüler einen Text lesen oder eine Aufgabe lösen, dürfen sie frei entscheiden, wo sie das tun: Sitzen sie auf dem Tisch? Hocken sie auf dem Boden? Oder ziehen sie sich in den Flur zurück? Damit geht Verantwortung einher. Die Botschaft des Lehrers lautet: „Das geht nur, wenn ich mich auf euch verlassen kann.“ So wird die Bindung zu den Schülerinnen und Schülern gefestigt, das A und O für ein gutes Lernklima.
Christian Roths Erfahrung ist, dass viel mehr Ruhe in die Klasse kommt. Unterrichtsstörungen seien seltener, auch Kinder mit sozial-emotionalen Auffälligkeiten blieben besser am Ball. Wichtig ist für den Lehrer, dass keine Lernzeit verloren geht. Deshalb ist der Bus-Stopp eine seiner favorisierten Unterrichtsmethoden: Wer seine Aufgabe fertig hat, geht zu einem vorher festgelegten Punkt im Raum und wartet dort auf das nächste Kind. Sind zwei, drei zusammen, suchen sie sich ein ruhiges Plätzchen und vergleichen ihre Ergebnisse. „Das ist die Differenzierungsmethode schlechthin“, betont Christian Roth, „bis zum Abitur.“ Oft heißt es in seiner siebten Klasse auch: Wer denkt, dass die Antwort richtig ist, macht eine Kniebeuge. Neben einem kleinen Trainingseffekt sorge die Übung für gute Stimmung. „Das stärkt das Klassenklima und den Zusammenhalt.“
„Bewegungsspiele würden mir großen Spaß machen. Ich habe mich daran gewöhnt, in der Schule lange zu sitzen, aber am meisten freue ich mich auf die Pausen: Da spiele ich Fangen mit meinen Freunden, klettere über große Steine und springe über Holzbalken. Wenn es zur Pause klingelt, rennen wir alle immer sofort los.“ – Ben, 9 Jahre
BESTANDSAUFNAHME UND BEWEGUNGSFÖRDERUNG
Als Fachberater überlegt Christian Roth gemeinsam mit Schulen, wie sie Bewegung fördern können. Im ersten Schritt erfolgt eine Bestandsaufnahme: Was läuft schon super? Wo liegen die Stärken? „Jede Schule hat Schätze, die nur darauf warten, gehoben zu werden“, betont der Lehrer. Zum Beispiel einen großen Pausenhof mit Klettergerüst, eine neue Turnhalle oder tolle Sportangebote im Ganztag. Der Sportexperte empfiehlt, dass sich aus dem Kollegium ein Gesundheitsteam gründet. Wichtig ist, die Schulleitung und die Eltern mit ins Boot zu holen. „Zunächst gilt es, für das Thema zu sensibilisieren.“ Die Unfallkassen und Kultusministerien der Länder stellen dazu Handreichungen bereit. Sinnvoll ist, einer Checkliste zu folgen.
Für die Umsetzung können die Schulen auf viele praktische Tipps zurückgreifen: Die Broschüre „Bewegte Kinder – Schlaue Köpfe“ stellt zum Beispiel auf 150 Seiten zahlreiche Spielideen vor, die zeigen, wie Bewegungsspiele in die einzelnen Fächer eingebunden werden können. Zudem bündelt das Internetportal schulsportideen.de mehr als 500 Beispiele für einen attraktiven Sportunterricht „spielerisch und abwechslungsreich“. Fest steht für den Gesundheitsexperten: Notwendig ist weder viel Geld noch viel Aufwand. „Kleine Impulse reichen völlig aus.“
In welchem Ausmaß wird an Ihrer Schule Bewegung gefördert – und wo gibt es Optimierungspotenzial? Bei der Ermittlung des Status quo hilft unsere Online-Checkliste.
Julian Mädrich ist Sportexperte bei der Unfallkasse Rheinland-Pfalz (UK RLP).
Christian Roth ist Sportlehrer an der Georg-Büchner-Schule in Erlensee bei Hanau und Fachberater am Staatlichen Schulamt für den Main-Kinzig-Kreis.
MEHR INFOS:
Das Online-Projekt „Schulsportideen“ der Unfallkasse Rheinland-Pfalz sammelt Informationen sowie viele Übungs-, Spiel- und Organisationsformen für einen attraktiven und sicheren Sportunterricht.
• www.schulsportideen.de
DGUV Information 202-101 „Bewegung und Lernen. Konzept und Praxis Bewegter Schulen“
• www.dguv.de, Webcode: p202101
Webangebot „Bewegte Schule / Bewegte Pause / Bewegter Ganztag“ der Unfallkasse Rheinland-Pfalz
• www.ukrlp.de, Webcode: b1771